Hinduismus

Lexikon der indischen Mythologie online


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Fe
Shiva
26.02.2013 05:31

Gliederung:

 

  1. Einleitung Shiva

  2. Eigenschaften

  3. Shivas Darstellung

  4. Shivas Entwicklung/Rudra

  5. Shiva als Nataraja/Der Tandava

  6. Shivas Familie/Shiva und Parvati

  7. Askese, Meditation, Erotik und Fruchtbarkeit

  8. Shivaismus/Shiva im Tantra

  9. Shivaratri/Die große Nacht des Shiva

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1) Shiva

 

 

 

Shiva (sanskrit: „der Freundliche, Gnädige, Huldreiche, der Gütige, Glücksverheißender, der Liebe, der Segensreiche“) ist im hinduistischen Trimurti („Dreieinigkeit“/“Dreifaltigkeit“) der Gott der Zerstörung (Auflösung/als Voraussetzung für den Neubeginn). Er ist wohl der komplexeste Gott der hinduistischen Mythologie. Außerhalb der Trimurti ist er der Gott der Ekstase und der Heilbringung, des Lebens und des Todes zugleich. Der Indologe und Religionswissenschaftler Axel Michaels beschreibt ihn als „Lehrstelle des Hinduismus, die je nach Tradition, Gegend und Religionsform mit nahezu unbegrenzt vielen Aspekten angefüllt werden kann“. Er ist die Personifikation des Absoluten, des männlichen und weiblichen, des zerstörenden und erneuernden Prinzips, das für Tod und Leben zugleich steht. Als Gott der Zerstörung von Avidya („Unwissen“) und aller Weltlichkeit steht er für Entsagung und gewährt Weisheit sowie schöpferische Kräfte. In verschiedenen Funktionen ist er auch der Herr der Wesen und der Tiere (Pashupati), Gott der Fruchtbarkeit und Erotik (Kamadeva), der Herr des Mondes und der Zeit (Somanatha), Gott der Wälder, Berge und Gebirge, weiser Lehrer/perfekter Guru und Gott aller Studierenden, Gelehrten und Sucher der Weisheit und Erkenntnis (Dakshinamurti), Gott der Magie, Welthüter, Gott der Meditation und der Keuschheit, Patron der Asketen und Yogis (Mahayogi/Yogeshvara), selbst Asket und Yogi, Gott des Tanzes (Nataraja), der Feste, Jäger und Schutzgott der Jäger, Bestrafer des Todesgottes Yama, Zerstörer der drei Städte, Vernichter von Brahmas fünftem Kopf, Vernichter des „Elefantendämons“, Bezwinger von „Dämonen“ und Gespenstern und in manchen Quellen Bändiger des „Dämons“ Ravana (in seiner Avatara als Affengott Hanuman) sowie der Zerstörer der Zeit. Es existieren auch verschiedene Avatare („Herabkünfte“) von Shiva, die jedoch weniger bekannt sind (z.B. der Affengott Hanuman, Bhairava, der aus Shivas Augenbrauen inkarnierte, Mahakala und Dakshinamurti).

Oft ist er auch der Ahnherr der Feinde Vishnus und auf der Seite der Asuras (der launischen, mit bestimmten Kräften ausgestatteten, chaotischen Kräfte der Natur/“Dämonen“/Gegenspieler der Götter/“Titanen“). Er erweist seine besondere Gunst, denen, die mit der Welt nicht im Reinen sind. Damit unterstützt er das göttliche Spiel (Lila). Shiva zieht sich regelmäßig auf den Berg Kailash im Himalaya zur Meditation und Askese zurück. Shivas Versenkung hält die Welt in Gang.

Shiva ist erdgebunden. Zusammen mit Brahma, dem Gott der Schöpfung und Weltenlenker und Vishnu („dem Wirkenden“, „dem Alldurchdringenden“), dem Erhalter und Beschützer der Welt, bildet er die hinduistische Trimurti und wird mit Vishnu zu HariHara. Während Brahma den Archetypus des Priesters verkörpert und Vishnu den König, verkörpert Shiva den Asket und Yogi. Seine dynamischen, weiblichen Kräfte werden die Shakti („Kraft“ „Macht“, „Energie“), Sati (wörtlich: „seiend“), Parvati („Tochter der Berge“), Kali („die Schwarze“, „die Zeit“), Durga („die Unnahbare“, „die schwer Zugängliche“, die Unergründliche“) oder Uma („die Gnädige“) genannt und gelten als seine Gattinnen. Zu seinen Söhnen zählen Ganesha und Kartikeya. Seine heilige Stadt ist Benares (das heutige Varanasi) im indischen Bundesstadt Uttar Pradesh.

Shiva führt 1008 Beinamen, u.a. Ishvara („auserwählter Gott/Wunschgottheit/“Gebieter“/Herr“). In seinem dunklen, zerstörerischen Aspekt erscheint er als Ugra („gewaltiger“), Mahakala („die große Zeit, der große Schwarze“), Bhairava („der Schreckliche“, „der Furchtbare“) Rudra („der Rote“) und in seinem hellen, freundlichen Aspekt heißt er Mahadeva („der große Gott“), Nataraja („der König/Herr des Tanzes“), Mahayogi („der große Yogi“), Shankara („der segensreich Wirkende“), Pashupati („Herr aller Wesen/“Herr der Tiere“), Kamadeva („Gott der Erotik“), Nilakantha („der mit dem blauen Hals“), Dakshinamurti („der Weltenlehrer“), Somanatha („Herr des Mondes/“Herr der Zeit“) Mahesha oder Maheshvara („der höchste Herr“), Hara („der Ergreifer“), Vishvanatha („Herr des Universums“), Sundareshvara („der schöne Herr“) oder Yogeshvara („Herr des Yogas“).

Shivas Symbol ist der Linga. Oft wird er in Vereinigung mit seiner Gattin dargestellt, deren Symbol die Yoni ist. Sein Vahana („Fahrzeug“/Reit- und Symboltier) und gleichzeitig sein treu ergebener Diener ist das Zebu Nandi („der Glückliche“) ein Symbol der Stärke, Männlichkeit, Fruchtbarkeit und Zeugungskraft. Dem vedischen Rudra („der Heulende“, „der Brüllende“) ist Shiva weitgehend gleichartig bzw. hat sich aus diesem entwickelt.

Shiva ist eine nicht vedische Gottheit. Zum ersten Mal findet Shiva in der epischen Zeit im Mahabharata und im Ramayana Erwähnung. Daneben wird er ausschließlich in den Puranas (den „alten Erzählungen“, entstanden zwischen dem 6. und dem 16. Jahrhundert nach Christus/insgesamt sechs Shivapuranas) erwähnt. Dort wird er auch ausdrücklich als Vedabahya („außerhalb der Veda“) bezeichnet.

 

                                                                                             2) Eigenschaften

 

Shiva ist ein Gott der Gegensätze und Widersprüche, der sich als äußerst anpassungsfähig erweist. Seine paradoxe Natur kommt unter anderem darin zum Ausdruck, dass Shiva als Asket gleichzeitig eine Familie besitzt. Das eine ist dabei die Voraussetzung für das andere, beides ist voneinander abhängig und wechselt sich phasenweise ab. Er kann freundlich, mild, gütig, friedlich und wohlwollend auftreten, hat aber auch zornvolle, grausame, „bösartige“, zerstörerische und wilde Aspekte. Daher ist er auf Schlachthöfen und Friedhöfen gleichermaßen zu Hause. Shiva bringt den Tod, wird aber auch gegen Krankheit und das Lebensende zu Hilfe gerufen. Er kann zwar leicht zornig werden, lässt sich jedoch auch leicht besänftigen. Mitunter wird er halb als Mann und halb als Frau dargestellt (ardhanarishvara). All diese widersprüchlichen Merkmale weißen auf eine Gottheit hin, in deren Charakter alle Gegensätze verschmelzen und sich aufheben. Einerseits ist er der brave Ehemann der Göttin Parvati und hingebungsvoller Liebhaber, anderseits ist er keuscher Asket. Sogar Shivas Name der „Huldreiche“ ist zum euphemistische Bezeichnung und Ausgleich für die dunklen Seiten der Gottheit gedacht, doch kennt man ihn auch als „Zerstörer“.

Als Harihara („Entführer(in)-Wegraffender“) ist er halb Vishnu, halb Shiva. Die Doppelgottheit in einer Gestalt verkörpert die Vereinigung von Raum (Hari/Vishnu) und Zeit (Hara/Shiva) Dargestellt wird Harihara zweiköpfigmit Königs- und Flechtenkrone oder auch einköpfig. Manchmal repräsentiert die linke Körperseite mit dem Rad die (weibliche) Hari und die rechte mit den Dreizack den (männlichen) Hara.

 

3) Shivas Darstellung

 

Ikonographisch ist Shiva gekennzeichnet durch einen oder 5 Köpfe (Panchanana) und 4 Hände. Seine Attribute sind Dreizack (Trishul), als Symbol für Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung, die drei Gunas (die drei „Eigenschaften“ der Natur Prakriti, Tamas: „Dunkelheit“, Sattva: „Helligkeit“, Rajas: „Bewegung“) und die drei Zustände (jagrat: „Wachsein“, swapnat: „Traumphase“ und sushupti: „Tiefschlaf“), Sanduhrtrommel (Damuru), Bogen und Strick. Sein Leib ist von weißer Farbe und nackt bis auf einen Schurz. Shivas weiße Haut symbolisiert das Licht, das die Dunkelheit vertreibt, das Wissen, das Unwissenheit vertreibt.

In Südindien wird Shiva meistens mit Dreizack, Schlange, Axt und Antilope in den Händen dargestellt. Darstellungen zeigen ihn mit einem dritten Auge (Bindi) zwischen den Augenbrauen auf der Mitte der Stirn, dem Auge der Einsicht, der Allwissenheit und der Zerstörungskraft. Es versinnbildlicht das Feuer. Um seinen Nacken und seine Taille winden sich mehrere Schlangen, andere schmücken seine Arme. Als Asket wird er häufig meditierend im Lotussitz mit Aschebeschmiert dargestellt (drei waagerechte Aschestreifen auf der Stirn als Symbol für Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung. Diese sind das Erkennungszeichen seiner asketischen Anhänger, den Sadhus [heilige Männer Indiens und Wandermönche]). Er trägt eine Flechtenkrone auf dem Kopf. Aus seinem langen und offenen Haar ragt oft auch eine Mondsichel (Somanatha). Diese weißt ihn als Herrn der Zeit aus. Der gesamte Himmel, einschließlich dem Wind, formt Shivas Haar. Shiva ist Herr des Windes, der den feinstofflichen Atem repräsentiert. Eine Schlange schlingt sich um seinen Hals. Häufig wird er mit einer langen Schädelkette abgebildet. Ferner trägt er einen Gurt, einen heiligen Faden und Armreifen. Er sitzt auf einem Tigerfell. Shiva wird oft vor dem schneeweißen Hintergrund des Berges Kailash abgebildet, was absolut reines Bewusstsein bedeutet. Er trägt eine Kette aus Totenschädels um seine Taille.

Shiva wird traditionell mit halb geöffneten Augen dargestellt. Es handelt sich dabei um eine heilige Position. Geschlossene Augen zeigen an, dass sich die Person von der Welt zurückgezogen hat. Geöffnete Augen weisen auf jemanden hin, der voll der Welt zugewendet ist. Die halb geschlossenen Augen bedeuten daher, dass Shivas Bewusstsein im inneren Selbst ruht, während sein Körper in der äußeren Welt aktiv bleibt. Shivas Augen repräsentieren Sonne und Mond.

Aus seinen Haaren fließt der „Ganges“ (Ganga). (Die Göttin Ganga sprang vom Himmel und wurde dabei vom Gott Shiva in seinem filzigen, langen Haar aufgefangen, um die Erde nicht zu überfluten.Sie brauchte viele Jahre um Shivas mächtigen Haarschopf zu passieren und teilte sich dort in sieben Ströme auf. In diesem Mythos tritt Shiva als Erhalter der Welt auf.)

Shivas Kehle ist oft blau. In dieser Form nennt man ihn Nilakantha oder „blaue Kehle“ zur Erinnerung an seine Rolle beim Quirlen des Milchozeans. (Dieser populäre Mythos schildert, wie der Naga („Schlange“) Vasuki als Seil um den Berg Mandara geschlungen wurde, sodass mit ihm der Milchozean gequirlt werden konnte, in dem das Unsterblichkeitselixier Amrita gefallen war. Doch am Ende war Vasuki so erschöpft, dass er nur noch Gift spie, eine solche Menge, dass die Existenz allen Lebens bedroht war. Da sog Shiva alles Gift in sich auf, doch das brennende Gift färbte seine Kehle blau. Dieser Mythos unterstreicht abermals seine Rolle als Erhalter der Welt, da Vishnus Schöpfung in seiner Avatare als Kurma („Schildkröte“) nur dank Shivas Mithilfe erfolgreich war.)

Viele Abbildungen zeigen seine Frau Kali in sexueller Vereinigung mit Shiva oder beim Tanzen auf seinem leichenartigen Körper.

 

4) Shivas Entwicklung/Rudra

 

Viele Erscheinungen Shivas scheinen aus alten, regionalen Volksgottheiten entstanden zu sein und sind erst später mit ihm in Verbindung gebracht worden.

Shiva gewann allmählich an Bedeutung, weil er die Merkmale eines alten Fruchtbarkeitsgottes in sich aufnahmt, den man als „Proto-Shiva“ (Rudra) bezeichnet. Darstellungen dieser Gottheit („Pashupati-Siegel“) im Lotussitz, umgeben Pflanzen und Tieren, finden sich bereits in der Harappa-Kultur vor 1500 v. Chr. Er hat darin drei oder vier Gesichter, die in jede Himmelsrichtung gerichtet sind. Schlangen winden sich um seinen Hals. Er scheint eine Art Kopfschmuck aus Stierhörnern zu tragen. Daher kamen einige Forscher zu der Ansicht, es handle sich dabei um Shiva in seinem Pashupati-Aspekt.

Shiva soll sich aus einer alten, vedischen Gottheit namens Rudra entwickelt haben.

Rudra („der Rote“, „der Heuler“, „der Brüller“) war ein relativ unbedeutender, vedischer, brahmanischer, Sturm- Wind- und Regengott sowie Gott der Zerstörung und des Todes, der als Bogenschütze durch seine Pfeile Angst und Schrecken, Krankheit und Tod bringt, aber auch Heilgott und „Herr der Tiere“ (Pashupati) und Schutzpatron der Jäger ist. Er ist Herr der Heilkräuter und Herr der Krankheiten. Er gilt als Vater der Maruts bzw. der nach ihm benannten Rudras, der Sturm-, Donner- und Regengötter, der ständigen Begleiter des vedischen Götterkönigs Indra. Rudra wird nur in sehr wenigen Hymnen des Rigveda besungen. Die Legende erzählt, dass Rudra aus der Stirn Brahmas geboren wurde, als dieser wütend war. In Opfern und durch Anrufung muss er beschwichtigt werden, sonst kann er zornig werden und die Menschen töten. Seinen Namen auszusprechen galt als Tabu. Er wurde oft gebeten nicht die Kinder zu stehlen und die Sippen in Frieden zu lassen. Stattdessen sollte er in seiner abgelegenen Region im Norden bleiben. Er ist ein furchteinflössender, grimmiger, wilder, schrecklicher und zorniger Gott. Rudra bringt Naturkatastrophen und feuert seine Seuchenpfeile auf Götter, Menschen und Tiere gleichermaßen, aber er verleiht auch Gesundheit und vollbringt viele gute Taten. So straft er die Götter für ihre Missetaten. Als Prajapati („der Herr der Geschöpfe“ und Schöpfergott) mit Ushas, seiner Tochter (Göttin der Morgenröte und Freundin der Menschen), Blutschande beging, war es Rudra, der ihn dafür zur Rechenschaft zog und erst von ihm abließ, als der Gott ihm versprach, ihn zum „Herrn der Tiere“ zu machen (Pashupati). In dieser Rolle wird er als Stier dargestellt. Er war auch ein hervorragender Arzt und Gott der heiligen Rituale. Als „Herr der Tiere“ kann Rudra das Vieh rauben und vernichten. Auch das Wohlergehen der Tiere ist von ihm abhängig. Später wird Rudra mit Shiva identifiziert und mit ihm gleichgesetzt. Rudra ist ein Außenseiter unter den vedischen Göttern. Ähnlich wie später Shiva wird er vom vedischen Opfer ausgeschlossen, da er eine fremde, nicht indoarische Gottheit ist. Dargestellt wird Rudra mit schwarzem Bauch und mit roten Rücken (Zeichen für Blut und Feuer), in Felle gekleidet. Er läuft als Langhaariger in Felle gekleidet im Wald umher. Er ist die Personifizierung der wilden und ungezähmten Natur.

Sowohl Rudras Ruf als Zerstörer als auch seine Funktion als „Herr der Tiere“ und Schutzpatron der Jäger setzen sich bei seinem hinduistischen Nachfolger Shiva fort. Rudra ist noch heute ein Beiname Shivas in seinem dunklen, wütenden, zerstörerischen Aspekt. Bei Rudra wird bereits das spätere doppelte, widersprüchliche Wesen Shivas spürbar.

 

                                                                    5) Shiva als Nataraja/Der Tandava

 

Eine der beeindruckendsten, beliebtesten und bekanntesten Shivadarstellungen in Menschengestalt ist Shiva als Nataraja, den Herrn des Tanzes. Die Nataraja-Figur zeigt die Hindugottheit Shiva beim Ausführen des kosmischen Tanzes (Tandava) und Herrn der Weltbühne. Sein Stier Nandi macht die Musik dazu. Shivas Tandavatanz stellt seine fünf evolutionären Aktivitäten dar: Schöpfung, Erhaltung, Zerstörung, Verkörperung und Befreiung. Schöpfung und Zerstörung, Tod und Leben befinden sich dabei im Gleichgewicht. Der Tod ist wiederum nur die Voraussetzung für neues Leben. Shiva zerstört nur das Welke, was zerstört werden muss, also das Vergängliche. Das Universum ruht nach der Zerstörung und vor dem nächsten Schöpfungszyklus in Shiva. In der einen Hand trägt er die Sanduhrtrommel (Damuru), die die Erschaffung und den rhythmischen Schlag der Zeit symbolisiert. In der anderen Hand hält er das heilige Feuer (Pralayagni), das Emblem für Zerstörung (Pralaya) und Verwandlung. Er entfacht das Feuer der ewigen Zeit. Es brennt 100 Himmelsjahre und zerstört sämtliche Geschöpfe. Am Ende erlöschen Sonne und Mond, und alles ist Finsternis. Mithilfe seines Dreizacks unterwirft er die Herren aller Planeten. Aus Shivas wirrem Haar ergießen sich für weitere 100 Himmelsjahre Sturzbäche, die alles überfluten. Heulende Winde brausen über das mit Wasser überflute Weltall hinweg. Dann folgt die lange ruhige Nacht, die dem nächsten Schöpfungszyklus vorangeht. Mit seinem rechten Fuß tritt Shiva den zwergenhaften Dämon der Unwissenheit, Stumpfheit und Verblendung, Apasmara (wörtlich: „Blindheit“), nieder, der die Menschen an der Befreiung aus dem Samsara („Kreislauf der Wiedergeburten“) hindert. Der linke Fuß ist als Symbol der Erlösung (Moksha) erhoben. Eine dritte Hand Shivas zeigt auf die Hoffnung, die durch den angehobenen Fuß verkörpert wird, und eine vierte Hand ist in segnender Stellung dargestellt. Die ganze Figur wird von einem Flammenbogen (Samsara) umgeben, der die Natur, Prakriti, darstellt, die von der sich darin befindenden Shivafigur zum Leben erweckt wird. Die Dynamik der tanzenden Figur mit ihrem fliegenden Gürtel und den wehenden Locken steht im Kontrast zu dem Ruhe ausstrahlenden Gesicht Shivas und zu seiner zum Segen erhobenen Hand (Mudra). Shiva trägt in einem Ohr einen männlichen, im anderen Ohrring einen weiblichen Ohrring, die sein doppeltes Wesen (ardhanarishvara, „halb Mann, halb Frau“) symbolisieren. In dieser Form ist er Shiva und Parvati zugleich. Der Tanz findet im Chidambaran statt, dem „Zentrum des Universums“, das auch als Herz des Menschen interpretiert wird. Als Kunstwerk ist die Nataraja-Figur sowohl hinsichtlich der Gestaltung als auch bezüglich der Darstellung des Ausgleichs zwischen Bewegung und Ruhe bemerkenswert. Da es aber keine einheitliche Ikonographie zum Nataraja gibt, fallen die Interpretationen häufig recht unterschiedlich aus. Das Feuer wird jedoch allgemein als Symbol der Zerstörung gedeutet. Die bedeutendste Nataraja-Figur steht heute im Tempel von Tamil Nadu.

Es gibt verschiedene Tandavas: Wenn Shiva sich an seiner Schöpfung erfreut, nennt man ihn Ananda Tandava. In zerstörerischer Absicht und in gewaltsamer Weise ausgeführt heißt der Tanz Rudra Tandava.

Hindus sind sich einig, dass wenn Shiva müde wird und seinen Tanz unterbricht, die Welt zerstört wird. Aber Shiva wird niemals aufhören zu tanzen, daher wird die Welt niemals vollständig zerstört werden. Sein Tanz symbolisiert einen unaufhörlichen Prozess von Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung.

Shiva als Nataraja ist der Inbegriff und die Repräsentation des zyklische Zeitverständnisses (Yugas) gläubiger Hindus schlechthin.

Shiva soll den Tandavatanz aufgeführt haben, um seinem Zorn und Gram Ausdruck zu verleihen, als seine Frau Sati sich in Dakshas Opferfeuer warf und so ihr Leben gab.

 

6. Shivas Familie/Shiva und Parvati

 

Shiva ist der Vater des elefantenköpfigen Ganescha bzw. Ganapati (der Gott der Weisheit) und des sechsköpfigen Kriegsgottes Karttikeya (Skanda). Seine Frau in ihrem wohlwollenden Aspekt ist Parvati (die Tochter des Berggottes Himavat, „Tochter der Berge“), die Tochter des Berges Himalaja und der Mena und jüngere Schwester der Ganga, der Flussgöttin, die den „Ganges“ personifiziert. Sie ist ein leuchtendes Beispiel für Kindes- und Gattenliebe. Parvati repräsentiert die ideale Hindu-Frau, aufgrund ihrer vollendeten Hingabe zu Shiva. Sie ist zugleich seine Shakti, seine aktive, schöpferische, innere Kraft. Shiva besaß Macht nur in Potenz und hatte Shakti nötig, um diese freizusetzen. Parvati verkörpert den weiblichen Aspekt des Universums (Prakriti/“die Natur“/“die Materie“), während Shiva den männlichen verkörpert (Purusha, „der Geist“). Sie kann niemals von ihm getrennt werden. Shivas Macht der Zerstörung verfügt über keine Kraft ohne etwas, das zerstört werden kann, wie die vergängliche Materie. Die Dreiheit Shiva, Parvati und Ganescha gilt Hindus als göttliche Familie. (Vater/Mutter/Kind) Wenn Parvati die Gestalt von Kali oder Durga annimmt, tritt Shiva in den Hintergrund und seine Nähe zu ihr ist dann nicht sehr intensiv. Sie wird dann meistens ohne Shiva abgebildet. In dieser Rolle kann sie also auch ihre Abhängigkeit zu Shiva verlieren und als völlig eigenständige Göttin verehrt werden. Shiva ist dann teilweise seiner Frau auch deutlich unterlegen. Beide, sowohl Durga als auch Kali, haben eigene Kulte und werden in eigenen Tempeln verehrt.

Shiva war mehrere Male verheiratet. Seine erste Frau war Sati (die gute, reine, treue Ehefrau und Vorbild der nach ihr benannten Witwenverbrennung). Als ihr Vater Daksha alle Götter außer Shiva zu einem Opfer einlud, verbrannte sich Sati aus Treue zu ihrem Mann und aus Scham, um die Ehre ihres Mannes wiederherzustellen. Sati gilt Shivas Anhängern heute als Idealbild der bedingungslosen Shivaverehrung und Gatinnenliebe. Vishnu zerstückelte ihren Leichnam und später wurde sie als dunkelhäutige Parvati (die Mutter des Universums) wiedergeboren. Nach den Tod seiner Frau hatte sich Shiva in eine ewige Meditation versenkt, aus der ihn nichts heraus holen konnte. Um ihren Gemahl zurückzugewinnen, stand Parvati Millionen Jahre auf einem Bein und Pflanzen wuchsen an ihr empor, sodass sie selbst zum Bein wurde. Shiva war so von dieser Frau gerührt, die er nicht wieder erkannt hatte, dass er aus seiner Ekstase aufwachte und diese Frau heiratete.

Zur Entstehung Ganeshas gibt es mehrere Legenden: Der Mythos erzählt, dass Parvati, als Shiva nicht zu Hause war, sich langweilte und Ganesha allein erschuf. Sie benutze dazu Abrieb (Schmutz/Schweiß) von ihrem eigenen Körper sowie Ton, Tau und Nebel. Dann erweckte sie Ganesha mit heiligen Mantras zum Leben. Später bat sie das Kind vor ihren Räumen zu wachen.

Als Shiva zurückkam und seine Frau sehen wollte, verwehrte Ganesha, der ihn nicht kannte, dem Gott den Eintritt. Außer sich vor Wut schlug Shiva ihm daraufhin den Kopf ab. Die Parvati war daraufhin sehr traurig und bat ihren Mann den Sohn wieder zum Leben zu erwecken. Doch da der erste Kopf, den Shiva finden konnte, der eines Elefanten war, lebte der Junge von da an mit einem Elefantenkopf.

Später wurde Ganesha zum Herr der Ganas, der Begleiter Shivas. Somit galt er fortan als Vermittler und Bote zu seinem Vater.

Shiva setzte ohne Parvatis Mithilfe sechs Söhne in die Welt. Die Göttin liebte diese Kinder sehr, sodass sie sie eines Tages allzu heftig umarmte und sie damit zu einem verschmolz. Nur die sechs Köpfe blieben unversehrt. Dieser Junge wurde zum Kriegsgott Karttikeya oder Skanda.

Eine andere Sage berichtet wie Shiva seinen Samen dem Opferfeuer Agni übergab. Agni gab ihn der Flussgöttin Ganga zum Aufbewahren. Diese legte ihn ins Schilf. Daraus entstand dann der sechsköpfige und zwölfarmige Gott Kartikeya.

Eng mit Shiva verbunden, ist sein Stier Nandi, ein milchweißer Stier mit schwarzem Schwanz. Er ist der Sohn der Urkuh Surabhi („Kuh des Überflusses“/Wunschkuh), die beim Quirlen des Milchozeans hervorkam und der Beschützer der vier Ecken der Welt und aller vierbeinigen Tiere. Statuen von Nandi finden sich vor den meisten Shiva-Tempeln und Gläubige berühren traditionell seinen Hoden, bevor sie Shivas Tempel betreten.

Viele Abbildungen zeigen Shiva, Parvati, Ganesha, Kartikeya, begleitet von dem Stier Nandi, einträchtig und idyllisch im ihrem himmlischen Wohnheim, dem Himalayagebirge (Kailash).

 

7. Askese, Meditation, Erotik und Fruchtbarkeit

 

Ursprünglich stand Shiva in Verbindung mit Fruchtbarkeit und Erotik.

In Darstellungen aus dem 6. Jahrhundert wird er oft mit erigiertem Phallus (ichtyphalisch) abgebildet.

Shiva wird häufig in abstrakter Form verehrt, seltener in personeller, anthropomorpher. Meistens wird er in ungeborener, formloser Form als Dreizack (Trishul) oder als Shiva-Lingam verehrt (der Kultstein Shivas).

Der Begriff Linga ist textlich zum ersten Mal im Mahabharata greifbar.

Das Lingam („Zeichen“, „Merkmal“) ist das hinduistische Symbol des passiven, unveränderlichen, statisch männlichen Prinzips, das in Gestalt eines aufgerichteten Phallus als Zeichen der Zeugungskraft verehrt wird. Es kann auch anthropomorph als Linga mit drei Gesichtern (als Symbol für die drei Aspekte Shivas) dargestellt werden. Im Shivaismus ist der Lingam mit dem Kult des Shiva eng verbunden. Eingebettet in die Yoni („Mutterschoß“, „Ursprung, „Quelle“/Symbol von Shivas Shakti/steht für das aktive, wandelbare, dynamisch weibliche Prinzip/in Form einer Vulva, dem weiblichen Geschlechtsorgan, dargestellt, symbolisiert sie Werden und Fruchtbarkeit) symbolisiert das Lingam die Aufhebung und Überwindung der Geschlechterpolarität, die Rückführung des Geteilten und Geformten in den Urzustand des ungeteilten und formlosen Absoluten (Brahman). Der Lingam bildet das Allerheiligste (Sanktuarium) jedes Shivatempels. Er repräsentiert die Gesamtheit der schöpferischen Potenzen Shivas.

Nach einer bestimmten Vorstellung der Hindus ist das Lingam voller Hitze (tapas), worunter zeitweise die ganze Welt zu leiden hat, wie es die Mythologie vielfach belegt. Es ist eine der Aufgabe der Gläubigen, das Shiva-Lingam kühl zu halten oder es abzukühlen. Daher hängen sie in jedem Shiva-Tempel ein Kupfergefäß mit einem kleinen Loch über dem Shiva-Lingam auf und füllen es mit Wasser vom Ganga. Rund um die Uhr tropft Wasser aus dem Gefäß auf das Shiva-Lingam und verhindert so seine Überhitzung.

Jedes Linga besteht aus drei Teilen: Der unterste ist quadratisch, der mittlere achteckig, der dritte zylindrisch und erhebt sich über den Sockel. Der Shiva-Linga ist so angebracht, dass eine Hälfte in der Erde eingebettet liegt, während die andere über der Oberfläche verbleibt. Der über der Oberfläche erscheinende Teil repräsentiert die manifestierte sichtbare Welt der Vielfalt (Shakti): Die unter der Oberfläche sitzende Hälfte stellt die unsichtbare Grundlage dar, die obere Hälfte trägt und die unmanifestierte höchste Realität (Shiva) symbolisiert. Es gibt verschiedene Lingas: das svayambhu-Linga, das natürlich entsteht; der bindu-Linga, auf den eine Person meditiert; der pratishtha-Linga, der mit entsprechenden Mantren installiert wird; der Caram auch Abhyatmika genannt und der duru-Linga, der Shiva selbst versinnbildlicht.

In den Puranas wird berichtet, das Shiva eines Tages unerkannt in einen Wald ging, wo mehrere Asketen (Rishis) meditierten. Die Yogis fürchteten, er würde sich ihren Frauen nähern und verführen und ließen daher des Gottes Phallus abfallen (in anderen Versionen ließen sie ihn zum steinernem Lingam werden). Sofort wurde die Welt dunkel, und auch die Weisen verloren ihr Glied. Da erkannten sie ihren Fehler, opferten dem Gott und stellten die Weltordnung wieder her.

Ein anderer Mythos berichtet von der Geburt Shivas. Brahma und Shiva stritten darum, wer von ihnen am mächtigen sei. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung erstand aus den Wogen des Urozeans plötzlich ein riesiger Lingam, ein Phallus, der Shiva symbolisiert. Als die beiden die darauf lodernde Flamme näher betrachteten, öffnete sich der Phallus und die beiden Götter fanden den Schöpfergott Shiva darin sitzen. Da mussten beide seine Übermacht anerkennen.

Die Legende erzähl von Nataraja und den 1000 Rishis oder Weisen, denen Shiva die Wahrheit aufzeigen wollte. Die Rishis widersetzen sich seinen Lehren und sandten einen schrecklichen Tiger, der ihn verschlingen sollte. Doch der Gott enthäutete das Tier mit dem Nagel seines kleinen Fingers und schlang sich darauf sein Fell als Schal um den Hals. Dann sandten die Rishis eine Schlange, doch auch diese wurde zum Halsschmuck für den Gott. Schließlich schickten die Rishis einen Zwerg mit einer Keule (Apasmara) aus. Shiva warf ihn auf den Boden, brach ihm das Rückgrat und begann, auf ihm zu tanzen (tandava). Sein Tanz schlug Rishis und Götter in Bann, sodass sogar der Himmel sich öffnete. Da gaben die Rishis ihren Widerstand auf und warfen sich vor Shiva anbetend in den Staub.

Shivas drittes Auge soll durch einen Streich Parvatis entstanden sein. Als Shiva auf dem Kailash meditierte, schlich sie sich eines Tages hinter ihn und hielt ihm beide Augen zu. Sofort verfiel die Welt in Dunkelheit, sodass jedes Wesen vor Furcht erzitterte. Da brach sich Shivas Blick auf seiner Stirne in einem dritten Auge Bahn und setze dabei den gesamten Himalaya in Brand. Parvati war am Boden zerstört und Shiva, der sie liebte, stellte die Berge in ihrem alten Glanz wieder her.

Eine andere Legende erzählt, dass Parvati sich eines Tages langweilte, weil Shiva schon wieder meditierte. Sie rief also Kama, den Gott der Liebe und Begierde, zu Hilfe, der sich zunächst weigerte, doch auf Parvatis weiteres Lamento hin sich anschickte, einen Liebespfeil auf Shiva abzufeuern. Aber der göttliche Maheshvara, der wusste, dass Shiva seine Meditation beenden musste, um den Schöpfungszyklus nicht zu stören (da sonst die Yugas [Weltzeitalter] durcheinander geraten würden), streckte Kama mit dem Donnerkeil nieder. Später erweckte er ihn allerdings zu neuem Leben.

In anderen Versionen ist es Shiva selbst, der Kama mit einem Blitz aus seinem dritten Auge erschlägt. Er verbrannte den Gott zu Asche. Parvati zog sich daraufhin in die Einsamkeit zurück, da sie der Vernachlässigung durch ihren Mann überdrüssig war. Eines Tages erhielt sie Besuch von einem jungen Mann, der sie ob der Kraft ihrer Askese pries.

Gleichzeitig aber versuchte er, sie davon abzubringen. Daraufhin wurde Parvati so wütend, dass der junge Mann sich eiligst als ihr Gemahl Shiva zu erkennen gab.

Shiva versprach nun seiner Frau, ihr seine Liebe auch zu beweisen, und so bat sie ihn, Kama wieder lebendig zu machen. Als Shiva ihrem Wunsch entsprochen hatte, zog sich das Paar ins Gebirge zurück und die Intensität ihrer Vereinigung ließ die Welt erbeben. Sie dauerte 1000 Jahre.

Trotz oder gerade wegen Shivas Rolle als Asket geht eine besondere, erotische Faszination von ihm aus. In Shivas Gestalt mischt sich sexuelle Potenz mit asexueller Macht. Shiva ist sowohl keuscher Asket als auch glühender Liebhaber. Er ist gleichermaßen potent und keusch, der Gott der Erotik (Kamadeva) und ein Yogi, der in einer Art Zölibat lebt. Menschen sind sterblich und brauchen die Sexualität, um in und mit ihren Kindern weiterzuleben. Götter sind unsterblich und brauchen keine Sexualität. Der Mensch, der Gott sein will, eben der Asket, muss beides, Potenz und Impotenz, haben. Shiva ist gerade in seiner Eigenschaft als Asket ein Gott der Fruchtbarkeit, denn indem er seinen Samen zurückhält, sammelt er Zeugungsfähigkeit. Man glaubt, dass sich zurückgehaltenes Sperma in spirituelle Energie umwandeln lässt. Deshalb ist Shivas Askese (tapas, wörtl. „Hitze“) auch kreative Schöpfungskraft. Phasen der Askese und der Sexualität wechseln sich zudem regelmäßig ab. Hin und wieder muss Shiva aus seiner Askese gerissen werden, damit er nicht zu viel Energie anreichert und damit zu mächtig wird.

Eine Episode der Puranas weiß auch zu erzählen, dass Shiva einen Brahmanen tötete, um die Oberhoheit über die brahmanischen Priester zu erlangen. Da dies als größte Sünde galt, wandelte er dann büßend durch das Land und wurde fortan zum Außenseiter par excellence. Da er von seinen Schwiegervater Daksha (dem Vater von Sati) nicht zum Opfer eingeladen wird, zerstört er wütend sein Opfer mit einem Pfeil und enthauptet ihn.

Einst versammelten sich die Götter zu einem 1000-jährigen Opfer. Beim Eintreffen Dakshas, des Anführers der Brahmanen, (ein Maharishi und Sohn Brahmas), erhoben sich alle mit Ausnahme von Shiva, der tief meditierte. Obgleich Shiva mit dessen Tochter vermählt war, nahm Daksha Anstoß daran. „Shiva ist nicht würdig, diesem Opfer beizuwohnen“, (aufgrund seiner ungewöhnlichen Lebensweise als Asket und seiner Rolle als Außenseiter unter den Göttern) fluchte er. Dann stürmte er davon.

Dies führte zu einer Auseinandersetzung zwischen den Gefolgsleuten Shivas und Dakshas. Daksha veranstaltete eine weitere Opferfeier, zu der Shiva jedoch nicht geladen war. Die Göttin Sati, Shivas Gemahlin, nahm aber daran teil. Sie musste feststellen, dass Shiva kein Opfer dargebracht wurde, und war beleidigt, dass Daksha, ihr Vater, sich weigerte, ihre Anwesenheit wahrzunehmen.

„Daksha ist neidisch auf Shiva“, erklärte sie. „Ich will nicht länger seine Tochter sein oder diesen Körper behalten, der aus ihm geboren wurde.“ Sie setze sich auf den Boden und konzentrierte ihre grimmige Wut zwischen ihren Augen. Flammen schossen hervor und verzehrten ihren Körper:

Unter Shivas Anhängern entstand lautes Wehklagen. Als Shiva von dem schrecklichen Ereignis hörte, lachte er rasend vor Zorn und begann seinen Tanz der Zerstörung. Er riss sich ein Haar vom Kopf und schleuderte es zu Boden. Daraus entsprang ein großer „Dämon“ (eine seiner Avatare), so hell wie drei Sonnen.

„Was willst du, dass ich tue, Gebieter?“ rief der „Dämon“. „Töte Daksha!“ antwortete Shiva.

Dunkelheit fiel über die Opferstätte, als der große „Dämon“ erschien. Er ergriff Daksha, schnitt ihm den Kopf ab und warf diesen ins Feuer. Die Brahmanen flüchteten sich zu Brahma, dem Urvater, doch der wies sie an, Shiva um Vergebung zu bitten.

Der Berg Kailasa, die himmlische Wohnstätte Shivas, war von blühenden Wäldern umgeben und mit den unheimlichen Rufen der Pfauen und dem Rauschen von Wasserfällen erfüllt. In der Mitte saß Shiva würdevoll und friedlich, in Begleitung von Weisen.

Die Brahmanen fielen reuig vor ihm nieder. Shiva vergab ihnen und willigte ein, Daksha ins Leben zurückzurufen und das Opfer wiederherzustellen. Da Dakshas Kopf nur noch Asche war,. gab er ihm stattdessen den Kopf einer Ziege.

Diese Geschichte veranschaulicht, dass Shiva leicht erzürnt, aber auch rasch beschwichtigt werden kann. Wer sie gläubig vernimmt, soll von seinen Sünden befreit werden.

 

                                                                                8. Shivaismus/Shiva im Tantra

 

Im Shivaismus (neben dem Vishnuismus eine der beiden Hauptströmungen [die zweitgrößte] des Hinduismus, neben dem Vishnuismus) wird Shiva von seinen Anhängern, den Shaivas (Shivaiten), als höchster Gott und Manifestation des höchsten Einen (Brahman), der in sich die Funktionen aller anderen Götter vereint, verehrt. Es handelt sich dabei um eine Art Monotheismus mit dualistischen Zügen. Er ist aus der Verbindung des Rudra-Shiva-Kultes mit vorarischen Volkskulten hervorgegangen. Der Shivaismus absorbierte im Laufe der Zeit eine Reihe früher selbstständiger Kulte, darunter diejenigen des Kriegsgottes Skanda und des elefantenköpfigen Gottes Ganesha.

Die Anhänger von Shivaismus und Vishnuismus leben meistens einträchtig nebeneinander, ohne dass es zu ernsthaften Konflikten zwischen ihnen kommen würde, da die Grundgedanken die selben sind und sich somit nicht widersprechen.

Für Shivaiten gilt Shiva, ähnlich wie Vishnu als allmächtiger und allgegenwärtiger Erlösungsgott, der Moksha verheißt. Befreiung wird als Identifikation mit dem personellen Gott Shiva verstanden.

Von Shiva heißt es, er könne Gläubige von ihren Sünden erlösen. Die Bhakti-Bewegung (bhakti: „Liebe zu Gott“/“Teilhabe“/“Hingabe“) trug ebenfalls zur Blüte des Shivaismus bei.

Die älteste überlieferte Sekte des Shivaismus ist jene der asketischen Pashupatas. Ursprünglich lebten seine Anhänger (Kapalas) wie Shiva auf Leichenverbrennungsstädten und trugen Ketten aus Totenschädeln als Kultgegenstände. Sie trugen oft drei waagerechte Aschestreifen auf der Stirn.

Der Begriff Shivaismus ist irreführend, da er eine Einheit vorgaukelt, die es so nicht gibt:

Es muss zwischen dem episch, puranischen Shivaismus (Lehre) und dem esoterischen Sektenshivaismus (Praxis) unterschieden werden. Letzterer beruft sich auf eigene Schriften, die sogenannten Agamas und Tantras. Diese gelten seinen Anhängern als offenbarte Lehre Shivas. Der Sektenshivaismus ist oft formal eingebettet in einen Dialog zwischen Shiva und der Göttin Devi. Shiva stellt meist die Fragen. Shakti antwortet ihm. Zuweilen lässt sich der Gott jedoch auch von seiner Frau belehren. Der sektarisch, esoterisch angehauchte Shivaismus hat kaum etwas mit dem puranischen Shiva und seiner Mythologie zu tun. Der episch puranische Shivaismus ist vedisch brahmanisch und volksreligiös ausgerichtet. Der esoterisch-sektarische Shivaismus hingegen, erfordert einen Initiationsritus (diksha). Brahmanen sind dort eher in der Minderheit. Er wird überwiegend von Asketen und Laien ausgeübt.

Innerhalb des Sektenshivaismus gibt es verschiedene Strömungen:

Beim sogenannten Kaschmirischen Shivaismus sind die eigene Befreiung (moksha/mukti) oder den Erwerb spezieller spiritueller Kräfte (siddhi) das höchste spirituelle Ziel.

Eine weitere bedeutende Sekte von Shiva-Anhängern ist die Virashaiva- oder Lingayat-Sekte, die sich für soziale Reformen engagiert. Sie lehnt jegliche Ausübung des Kastensystems ab und setzt sich für Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein. So gesteht sie beispielsweise Witwen die Wiedervermählung zu. Sie verehren Shiva durch das phallische Symbol des Lingam, das die tatsächliche Anwesenheit Gottes darstellen soll und von seinen Anhängern als Halsschmuck getragen wird. Bhakti und Yoga werden in dieser Sekte praktiziert und Gurus spielen eine wichtige Rolle. Die Anhänger dieser Sekte ernähren sich zumeist vegetarisch und führen ein abstinentes Leben. Es wird angenommen, dass ein lauterer und gläubiger Lebenswandel dazu führt, dass man sich im Tod mit Shiva vereint.

Daneben gibt es noch die Shaiva-Siddhanta-Sekte und die Bewegung der Natha-Yogis.

Die Shaiva-Siddhanta-Schule entwickelte sich in Südindien und ist wahrscheinlich die bekannteste Shaiva-Sekte. Nach seiner Einweihung (durch Shiva selbst, mittels eines Guru) ist der Anhänger des Shaiva-Siddhanta bestrebt durch die Ausführung komplexer Riten Kräfte aufzubauen, um die Seele aus ihren Fesseln des Karma („Tat“, „Handlung“, „Wirken“, „Opfer“, „Praxis“, „Schicksal“) und der Materie (Prakriti) zu befreien und sich Shivas Lebensweise anzunähern, einen Shiva-ähnlichen Zustand zu erreichen und in dauerhaften, direkten Kontakt mit Shiva zu kommen, um mit Gott eins zu werden. Die Vereinigung mit Shiva ist der Weg, dem ewigen Kreislauf der leidvollen Wiedergeburten (Samsara) zu entkommen.

Die Natha-Yogis-Bewegung ist in Bengalen entstanden und enthält Elemente des Buddhismus. Natha-Yogis versuchen den Körper durch Yoga und Schulung der Willenskraft zu reinigen und letztendlich unsterblich zu werden. In dieser Schule werden bedeutende Lehrer (Gurus) als Gottheiten angesehen.

Im episch, puranischen Shivaismus, dem volksreligiösen Shivaismus also, wollen sich Shivaiten mit Shiva vereinigen, seine Gunst erwerben, und sich einen Platz in seinem Himmel, dem Kailasa sichern.

Auch im „Tantrismus“ spielt Shiva eine wichtige Rolle. Hier ist vor allem die Beziehung Shivas zu Shakti von Bedeutung. Die Verehrung Shivas rückt jedoch im „Tantrismus“ eher in den Hintergrund.

Stattdessen wird seiner Frau Devi besondere Verehrung zuteil. Shiva taucht hier meistens als ihr Begleiter auf. „Ein Shivait mag sehr wohl ein Verehrer nicht Shivas, sondern der Göttin sein.“ (Alexis Sanderson) Im tantrischen Shivaismus steht die Vereinigung von Linga und Yoni im Mittelpunkt. Shivas Beliebtheit und Bedeutung im Tantrismus beruht neben der Assoziation des Gottes mit kosmischer Sexualität insbesondere auf seiner Außenseiterposition als innerweltlicher Asket in der hinduistischen Götterwelt, da Tantra einen elitären, esoterischen und mystischen Sonderweg des Hinduismus darstellt. Die Rituale des Shivaismus sind zudem nicht so orthodox wie die des Vishnuismus. Dies ist insbesondere damit zu erklären, dass Tantra einen Protest und eine Reaktion auf die starre Kastengesellschaft und die bestehenden religiösen Tabus und Werte des „Mainstream-Hinduismus“ ist und diese ins Gegenteil verkehrt.

 

9. Shivaratri/Die große Nacht des Shiva

 

Shivaratri auch Mahashivaratri genannt, die große Nacht des Shiva, ist im Hinduismus ein wichtiger Feiertag. Für die Shivaiten ist es das höchste Fest, die heiligste aller Nächte. Sie ist die dunkelste Neumondnacht des Jahres. Die Feierlichkeiten werden Ende Februar/Anfang März begangen.

Im Shivaratri steht weniger der zerstörerische Aspekt Shiva im Vordergrund, sondern in erster Linie der des Retters und Erlösers. Hindus glauben an diesem Tag von ihren Sünden erlöst zu werden. Die Shivaratri ist somit eine heilige, Segen bringende und gnadenreiche Nacht. Man sagt: „Durch die Beseitigung von Wünschen und Begehren, die den Geist verunreinigen, können selbst die, welche tot sind, weil sie die Wirklichkeit nicht erkannt haben, zu ewigem Leben erwachen“.

Beim Shivaratri steht vor allem die Verehrung des Lingas im Vordergrund.

In Indien gibt es zahlreiche Naturheiligtümer, sogenannte Jyotirlingas, in denen jeweils ein von der Natur geformter Lingam steht, wie etwa in einer Höhle in Armanath im Himalaja, wo sich in bestimmten Zyklen eine Eissäule bildet und wieder schwindet. Diese Plätze sind wichtige Wallfahrtsorte (tirthas). Die Gläubigen machen sich auf den beschwerlichen Weg hinaus in die Berge, um Shiva in der Eissäule anzubeten. Man glaubt, dass Shiva in dieser Nacht in allen beweglichen und unbeweglichen Lingas präsent ist. Pilger nehmen oft freiwillig große Strapazen auf sich, um diese zu erreichen. Es handelt sich dabei um eine Art selbstauferlegte Bußübung.

Ein sehr populärer Mythos zu Shivas Geburt in der Shivaratri erzählt:

Brahma und Vishnu stritten darüber, wer der Höchste von ihnen sei, als ein leuchtendes Linga wie eine Feuersäule vor ihnen erschien. Da beide weder Anfang noch Ende entdecken konnten, erwiesen sie Shiva als den Höchsten die Ehre. Dieser trat aus der Feuersäule hervor und sagte: „Wer in Zukunft fastet, Nachtwache hält und mich verehrt, wird von allen Sünden befreit und erlöst werden.“ Die Shivaratri sollte von nun an ein Fest für alle Kasten sein.

Die Shivaratri wird von allen Hindus mit Fasten, Duschwachen der Nacht, rituellen Bädern und mit Gebeten verbracht. Die Frauen fasten und erbitten Segen für ihre Ehemänner. Man rezitiert die ganze Nacht verschiedene Mantras für Shiva. Wer nicht an einer Pilgerfahrt teilnehmen kann, besucht den nächsten Tempel oder zelebriert die Anbetung zuhause. Gläubige übergießen rituell ein Linga mit Wasser, Milch, Joghurt, Butter und Honig und schmücken es mit den Blättern eines heiligen Baumes, des Bel (Bilva-Baum).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sita
Shitala

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